Katalonien: 360° zwischen Demonstranten und der Polizei

Breaking News und VR-Produktion, das passt nicht zusammen? IntoVR-Autorin Susanne Dickel erklärt, wie ein Dreh klappt, wenn es eng und hektisch wird.

Hunderte, wenn nicht tausende Menschen drängen sich vor den Toren der Schule Ramon Llull in Barcelona. Vor zwei Tagen ist die Polizei hier eingedrungen, mit einem Vorschlaghammer haben Polizisten eine Tür eingeschlagen, um zu verhindern, dass die Katalanen hier über die Unabhängigkeit der Region abstimmen können. Nun protestieren die Menschen vor der Schule gegen die Gewalt und ich mit der IntoVR°-Kamera mittendrin.

Breaking-News-Situationen sind etwas Besonderes für Journalisten. Manche vermeiden sie lieber, andere leben für diese Momente, in denen Geschichte geschrieben wird. Für 360°-Videojournalisten sind sie aber eine spezielle Herausforderung.

Wir haben für unseren Kunden Blick die Hintergründe des Katalonien-Konflikts beleuchtet. Dafür brauchten wir natürlich auch News-Bilder, das Referendum, also war ich dort wie eine Nachrichtenjournalistin unterwegs.

 

Back-to-back-360°-Kamera mit Entaniya-Linsen im Auto.
Auch in Krisengebieten ist IntoVR im Einsatz. Dann am liebsten mit leichtem Gepäck.

I <3 Batch-Render

Eigentlich braucht eine 360°-Produktion Zeit, für ein gutes Konzept, für’s Stitching. Zeit hat man bei Breaking-News-Situationen aber kaum. Sobald das Bild im Kasten ist, wird es auch schon getwittert oder man dreht gleich ein Live-Video.

Aber mit etwas Erfahrung lässt sich auch damit umgehen – und vor allem mit der Batch-Renderfunktion. So etwas haben inzwischen die meisten Stitching-Softwares: Nachdem man grundlegende Einstellungen bei den Bildern vorgenommen hat, werden nach und nach alle automatisch exportiert. Man kann also auf Start drücken, bevor man ein paar Stunden schläft, und hat am nächsten Morgen fertig gestitchte Clips, aus denen man dann ein Video schneiden kann.

 

Red Eye Production.
Red Eye Production.

 

Weniger ist mehr

Schwieriger ist der Dreh selbst: Auf einer Demo kann man die Leute schlecht davon abhalten, durch die Stitchline zu laufen. Da ist es von Vorteil, wenn man mit Back-to-back-Kameras arbeitet. Die haben nur eine Stitchline, die man beachten muss, und ihre Linsen stehen eng zusammen. So ist der Parallax-Effekt (das bedeutet, dass die Linsen ein perspektivisch leicht unterschiedliches Bild aufnehmen) relativ gering und damit der Stitch besser.

Außerdem muss man dann weniger Kameras anmachen. Kein Witz: Wenn ein paar Sekunden entscheiden, ob man ein Geschehen aufgenommen hat oder nicht, dann macht es einen Unterschied, ob man zwei Kameras anstellen muss oder sechs (oder noch mehr).

 

Wer findet die Kamerafrau zuerst?
Wer findet die Kamerafrau zuerst?

 

In der Schusslinie

Wenn es eng wird, kann man ein weiteres, eigentlich grundlegendes Tool nicht mehr nutzen: den Tripod. Ein 360°-Video sollte möglichst wackelfrei sein, damit den Usern beim Anschauen nicht schlecht wird. Also sollte man eigentlich vom Stativ drehen.

Doch wenn die Wasserwerfer anrollen, will man seine teure 360°-Kamera wahrscheinlich lieber nicht auf einem schmalen Stativ mittenrein stellen. Dann sind ein fester Stand und vor allem eine ruhige Hand gefragt.

Später kann man Familie und Freunde zum Suchspiel einladen: Wer findet die Kamerafrau als erstes?

 

Wenn es eng wird, sollte man mobil sein.
Wenn es eng wird, sollte man mobil sein.

 

Kampf ums beste Bild

Vor allem muss man sich darauf einstellen, Hassobjekt der TV-Kollegen zu sein. Denn anders als sie kann man sich Kamera nicht auf die Schulter hieven, sondern stellt sie entweder auf dem Stativ mitten zwischen die Demo-Teilnehmer oder hält sie an einem Monopod etwa auf die gleiche Position – und damit mitten ins Sichtfeld der Kollegen. Die wedeln dann mit der Hand: “Kannst du mal zur Seite gehen?” Ähm, nein. Wer zynisch genug ist, mag den Kollegen sagen: “Keine Sorge, es sind genug Demonstranten/Polizisten/Opfer/… für alle da.”

Gleichzeitig hat man den anderen Journalisten aber auch etwas voraus. Wenn sie sich keine Trittleiter mitgebracht haben, müssen sie ihre Kamera bei Demos hoch über den Kopf halten. Ob sie da etwas Gutes einfangen können oder ob nur Hinterköpfe zu sehen sind, lässt sich meistens nur erahnen.

Wenn man die 360°-Kamera hochhält, muss man sich darum keine Gedanken machen. Egal ob das zentrale Geschehen vor, hinter oder neben einem stattfindet – es wird auf jeden Fall im Bild sein.

 

Ja, er ist es: der Riot-Hipster.
Ja, er ist es: der Riot-Hipster.

 

Neben dem Riot-Hipster

Dabei kann man auch mal besonderes Glück haben: Wer erinnert sich noch an den Riot-Hipster, den bärtigen Typen, der sich bei den Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg vor ein Feuer stellte und erstmal ein Selfie machte? Auch IntoVR war damals vor Ort – und hat genau diesen Moment eingefangen, in 360°.

Also: Trouble shooting geht auch in VR.

 

 IntoVR-Storytelling in der Blick-App

 

Den Film über das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien präsentiert unser Kunde Ringier in der  Blick-App, die kostenlos im Play Store und Apple App Store heruntergeladen werden kann. Nutzer von Desktop-Computern können das Video aus Barcelona auch auf der Webseite von Blick sehen.