Mit sieben in die Schweiz geflüchtet, mit 21 ein Startup in Pristina gegründet und mit 27 verantwortlich für 300 Mitarbeiter – das ist Drenusha Shala. IntoVR-Gründerin Susanne Dickel hat für Blick erfolgreiche Unternehmer im Kosovo getroffen und im 360°-Video portraitiert.
Der Sack öffnet sich und der Duft von Minze strömt mir entgegen. “Wow”, sage ich und beuge mich noch tiefer darüber, atme die Minzwolke ein und spüre, wie sie meine Atemwege weitet.
Am Vormittag bin ich noch in mehreren hundert Metern Tiefe durch eine Mine gestapft – immer darauf bedacht, die 360°-Kamera nicht versehentlich in den teils knöcheltiefen Pfützen zu versenken.
Nun vertreibt der Kräuterduft die letzten Erinnerungen an die feuchtwarme, staubige Luft in den Gängen.
Ich bin im Kosovo. Diesem Land, in dem immer noch KFOR-Truppen stationiert sind und das nicht einmal von allen EU-Staaten anerkannt wird. Klingt nicht gerade nach den besten Bedingungen, um hier ein Unternehmen zu gründen.
Doch einige Menschen beweisen mir das Gegenteil. Ihre Geschichte erzähle ich für Blick in einer 360°-Videoreportage, unterstützt von Una Hajdari, einer Journalistin, die aus dem Kosovo stammt.
Kräuter mit TÜV-Plakette
Halit Avdidjaj zum Beispiel. Er hat Agroproduct gegründet. Das Unternehmen arbeitet mit Bauern in der Region zusammen, die Kräuter anbauen oder aus der Natur sammeln. Die Pflanzen werden getrocknet und beispielsweise Pharma-Firmen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Tschechien verkauft.
Weil alle Kräuter künstlich getrocknet werden, könne er beste Qualität sicherstellen, sagt Avdidjaj. Seine Pflanzen sind bio-zertifiziert und in einem Flur hängt sogar ein Schild vom TÜV an der Wand.
Und weil Avdijaj bei der Buchhaltung sehr genau ist, kann jeder Kräutersack genau zurückverfolgt werden: Wer hat sie wann wo gepflückt und wann wurden sie weiterverarbeitet? Dank dieser Detailgenauigkeit kann Agroproduct mit den westlichen Firmen verhandeln.
Wir fahren zu Pflückern in der Nähe und ich erlebe die Gastfreundschaft der Menschen hier. Die Bauern, die wir besuchen, nötigen uns gerade zu dazu, uns in ihrem Garten an den Tisch zu setzen, Baklava zu essen und etwas zu trinken. So dauert der Ausflug länger als geplant – aber egal. Bei über 30° ist ein Glas Wasser und ein Stuhl im Schatten sehr willkommen. Außerdem muss die 360°-Kamera ohnehin ein bisschen abkühlen.
Über 3000 Familien im ganzen Kosovo leben von den Einnahmen, die sie bei der Arbeit für das Unternehmen erwirtschaften. Es gibt Programme für Frauen und im Norden beschäftigt Avdijaj Serben, obwohl er selbst Albaner ist. Keine Selbstverständlichkeit in diesem gespaltenen Land. Avdijaj ist stolz, dass er es schafft, seine Landsleute zu unterstützen.
“Ich bin davon überzeugt, dass die eigenen Leute den Kosovo entwickeln müssen”, sagt er. Gerade die, die wie er im Ausland waren, als Flüchtlinge oder Gastarbeiter, denn sie hätten Erfahrung und Geld, meint er.
Gründergeist
Besonders beeindruckt hat mich aber eine Frau, die weder das eine noch das andere hatte: Als 21-Jährige gründete Drenusha Shala mit zwei Bekannten ein Startup, das Callcenter Baruti in Pristina. Das Geld dazu liehen sich die drei von ihren Familien, von Freunden und Bekannten. Nun, knapp fünf Jahre später, beschäftigt das Unternehmen rund 300 Mitarbeiter – und immer noch ist es komplett eigentümergeführt. Geld von Investoren hatten die Gründer nie nötig.
Was für eine unwahrscheinliche Karriere: Mit sieben flüchtete Shala mit ihrer Familie in die Schweiz, und heute ist sie erfolgreiche Unternehmerin. Mit ihrem freien Managementstil, den sie aus der Schweiz mit in die alte Heimat brachte, irritierte sie die kosovarischen Angestellten erst einmal: “Meine Mitarbeiter waren am Anfang total überfordert, wenn ich ihnen den Freiraum gegeben habe, selbst Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich ihnen sagte: ‘Du musst das und das machen’ fiel ihnen das viel leichter.” Dafür seien die Kosovaren pragmatischer, Macher, die einfach loslegen.
Auch Shala packt lieber selbst an, statt nur zu jammern. Vielleicht ist es auch ein wenig die Fluchtbiografie, die sie so mutig macht, Dinge einfach zu versuchen: “Wenn ich mir vorstelle, dass mein Vater in einem kleinen Bötchen geflüchtet ist und sein Leben für seine Familie riskiert hat… Ich riskiere ja nicht mein Leben für dieses Business, sondern vielleicht nur 20.000 Schweizer Franken.”
IntoVR-Storytelling in der App von Blick
Den ganzen Film über erfolgreiche Unternehmer im Kosovo präsentiert unser Kunde Ringier in der Blick-App, die kostenlos im Play Store und Apple App Store heruntergeladen werden kann. Nutzer von Desktop-Computern können den 360°-Film aus dem Kosovo auch auf der Webseite von Blick sehen.