Einsatz als VJ in Aserbaidschan

Unser Videojournalist Clemens Hirmke reiste im Dezember 2020 im Auftrag von WELT nach Aserbaidschan. Noch bis zum 10. November herrschte Krieg in der Gebirgsregion Bergkarabach. Der Auftrag: Die Produktion von journalistischen Videos und hochauflösenden Fotos für WELT und Welt am Sonntag.

Aserbaidschan ist eine Diktatur, die gerade einen blutigen Krieg gegen Armenien gewonnen hat. Die Intention der Reise: Von den Erlebnissen der Einheimischen zu berichten und welche Einflüsse der jahrzehntelange Krieg auf ihr Leben hat. Doch ist das überhaupt möglich und können Journalisten frei berichten?

Spontaner Einsatz im Gefahrengebiet

Spontanität ist wichtig als Journalist. Anfang Dezember flog VJ Clemens Hirmke im Auftrag von WELT nach Aserbaidschan. Innerhalb von wenigen Tagen organisierte er eine Schutzweste, einen Helm und natürlich auch einen Corona-Test. Bei der Reise begleitete er den erfahrenen Politik-Journalisten Daniel Dylan-Böhmer, der die Texte für Print und Online lieferte.

Ankunft in Baku
Ankunft in Baku am frühen Morgen um 05:00 Uhr. Die Botschaft des Sieges ist allgegenwärtig. Foto: Clemens Hirmke

Der Zeitplan und die Interviewtermine sind straff organisiert, so dass die Kamera immer griffbereit sein muss. Direkt nach der Ankunft im Hotel um 08:00 morgens steht schon das erste Interview auf dem Programm. Wer braucht schon Schlaf, wenn es genug Kaffee gibt? Kein Problem, solche Arbeitstage gehören auch mal dazu, und es ist spannend, aktuelles Weltgeschehen hautnah miterleben zu dürfen. Für unsere Reporter*innen ist es ein großes Privileg, in Zeiten der Pandemie reisen zu dürfen. Journalist*innen dürfen reisen, da die Arbeit systemrelevant ist.

In der Hotellobby in Baku dreht unser VJ ein Interview
Welt-Journalist Daniel Dylan-Böhmer führt ein anonymes Interview mit einem Einheimischen. Foto: Clemens Hirmke

Während des ersten Interviews im Hotel rollen draußen auf der Uferpromenade hunderte Panzer vorbei. Das Militär probt für die große Militärparade, mit der die Regierung ihren Sieg feiern will. Das Filmen der Probe-Parade ist verboten, die Soldaten bewachen die Straße.

Ein einheimischer Fixer hilft Journalisten

Klar wird schon bei der Ankunft in Baku: Der Sieg wird von der Regierung stark zelebriert. An jeder Straßenecke sind Plakate zu sehen mit der Botschaft, dass Bergkarabach nun wieder zu Aserbaidschan gehört. Um unverfälschte Einblicke und Meinungen der Menschen zu erhalten, benötigt man Kontakte vor Ort. Deswegen ist es üblich, dass Journalist*innen im Ausland mit sogenannten Fixern zusammen arbeiten.

Farhard der einheimische Fixer
Der Fixer Farhad hilft beim Dolmetschen eines Interviews. Foto: Clemens Hirmke

Dieser Einheimische übernimmt die Rolle des Dolmetschers, organisiert Treffen und liefert Hintergrundinformationen. Nach einigen Interviews in Baku reisen die beiden Journalisten gemeinsam mit dem Fixer Farhad ins Landesinnere. Hin zu den Regionen, die vom Krieg betroffen sind. Dort werden, trotz des Waffenstillstand-Abkommen vom 09.11.2020, auf Jahre hinweg die Auswirkungen des Krieges sichtbar sein.

Ständige Passkontrollen und Straßensperren

Ab 21:00 gilt in Aserbaidschan zu diesen Zeiten eine Ausgangssperre. Alle paar Kilometer verhindert eine Straßensperre die Weiterfahrt. Bewaffnete Soldaten fordern die Pässe ein und durchsuchen das Auto. Nur durch die Überredungskünste des Fixers können die Reporter passieren. Bei der späten Ankunft in einem kleinen Hotel werden die Pässe eingescannt. Ruhig schlafen lässt sich dort nicht. In einer Region, in der noch wenige Wochen zuvor Raketen einschlugen.
Rund 300 Kilometer entfernt von der Hauptstadt liegt die kleine Stadt Barda. Dort trafen im Oktober 2020 mehrere Raketen eine kleine Straßenkreuzung. Dutzende Menschen kamen ums Leben, so berichteten es die einheimischen Medien. Vor Ort nennen die Menschen unterschiedlichen Opferzahlen. Deswegen ist es schwierig, eine glaubwürdige Quelle zu finden.

Eine Rakete schlägt vor der Haustür ein

Unweit des Einschlages der Rakete ist eine Gedenktafel mit Bildern der Opfer. Vor einem Haus liegt ein Blumenstrauß. Dort kommen die Journalisten ins Gespräch mit der 23-Jährigen Evsane Mustafayeva. Sie schildert emotional von dem Tag als zwei Raketen vor ihrer Haustür einschlugen – und ihre Mutter vor ihren Augen starb.

Die 23-Jährige Evsane im Videointerview
Die junge Frau schilder vom Tod ihrer Mutter.


Das Videointerview gibt es hier zu sehen: www.welt.de/politik/ausland/plus222954648
Die Mutter von Evsane ist nur eines von vielen zivilen Opfern, die der Krieg forderte. Auch auf der armenischen Seite starben zahlreiche Zivilisten.

Gefährliches Arbeitsumfeld im verminten Gebiet

Im Landesinneren besuchen die Journalisten die Region Agdam. Das ist eines von den Gebieten, das Aserbaidschan nach dem Krieg zugesprochen wurde. Rund fünf Autostunden ist der Krieg von der Hauptstadt entfernt. Frei bewegen darf man sich im abgeriegelten Gebiet keinesfalls. Die Pressevertreter werden die ganze Zeit von Soldaten begleitet. Als der Reporter einen Soldaten filmt, wird er direkt aufgefordert, das Material zu löschen.
Erst nach dem Passieren von mehreren Militärkontrollen erreichen die Reporter die ehemalige Frontlinie. Dieses Gebiet hat Aserbaidschan von Armenien zurückerobert. Dort filmte und fotografierte Clemens Hirmke, immer bedacht, nicht die Straße zu verlassen. Denn das komplette Gebiet ist vermint. Ein guter Überblick über das Ausmaß der Zerstörung bietet sich vom Minarett einer Moschee. Das Gebäude ist baufällig und der Aufstieg nicht ganz ungefährlich.

Die Stadt Agdam ist nicht weit von Bergkarabach entfernt. Im Krieg wurde sie komplett zerstört. Foto: Clemens Hirmke

Doch die Aufnahmen von oben lohnen sich. In der Ferne sieht man nichts als Zerstörung. Die einst lebendige Stadt ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Gefahr ist aber immer noch allgegenwärtig. Unten auf der Straße liegt ein verbranntes Autowrack. Eine Woche zuvor starb unweit der Straße ein Soldat, der mit seinem Auto zu weit abseits fuhr. Deswegen gilt die Regel, sich nur auf befestigten Straßen zu bewegen.

Ein Minenräumer sucht nach Minen
Die Beseitigung der Minen wird noch Jahren dauern. Das Militär demonstriert eine Minenräumung. Foto: Clemens Hirmke

Beim Tagesausflug im verminten Gebiet, stellen die Soldaten Menschen für Interviews zur Verfügung. Doch ob die Aussagen glaubwürdig sind, gilt es zu bezweifeln. Das Regime hat diese Pressereise bewilligt und erhofft sich von den Journalisten, dass sie positiv über Aserbaidschan und negativ über das Nachbarland Armenien berichten.

Leider endet die Arbeitsreise früher als geplant. Nach zwei Tagen kehren die Journalisten zurück in die Hauptstadt Baku. Sie müssen zügig abreisen, da das Land den Flugverkehr einstellt. Der Grund: die Corona-Pandemie; die Zahlen stiegen in Aserbaidschan im Dezember stark an.

Das Prinzip VJ ist nützlich auf Reisen

Mit auf Reisen ist die Videokamera Sony FS5, die sich gut eignet, um aus der Hand zu filmen. Auf ein größeres Dreibein-Stativ verzichtet der Journalist bewusst, um vor Ort mobil zu sein. Ein ultraleichtes Einbein-Stativ garantiert trotzdem ruhige Aufnahmen. Bei so einem Auftrag zahlt es sich außerdem aus, mit kleinem Gepäck zu reisen. Das heißt, dass das Equipment komplett in einen Rucksack passt.

Clemens Hirmke mit Maske
Unser VJ Clemens Hirmke mit der Videokamera (Sony FS5) und Fotokamera (Canon 5D) – hinter ihm das Minenfeld.

Immer griffbereit auch die Fotokamera Canon 5D, um gute Motive einzufangen. Neben der Arbeit als Videograph liefert der VJ nämlich auch hochauflösende Fotos für die Printausgabe der WELT am Sonntag. Das gehört für einen Reporter bei Into VR & Video selbstverständlich dazu. Der Vorteil für den Kunden beim Prinzip VJ: Geringere Kosten und trotzdem gewährleisten wir mit unsere Erfahrung professionelle Fotos und Videos.

2 Tage, 50 Fotos, drei Videos

Schon im Flugzeug zurück beginnt der Schnitt. Into-VJ Clemens Hirmke produziert insgesamt drei verschiedene Videos und liefert über 50 bearbeitete Fotos an den Kunden WELT.
Zunächst die Geschichte der jungen Frau, deren Mutter bei einem Raketenangriff umkam. Außerdem ein Videoportrait von Flüchtlingen und ein anonymisiertes Interview. Die Menschen sind noch immer sehr traumatisiert, der Krieg gerade wenige Wochen vorüber. Aber trotzdem sind sie froh, dass man ihnen zuhört.

Akif Ahmedow aus Aserbaidschan
Akif Ahmedow floh in den 90er Jahren vor dem Krieg. Seine Geschichte erzählt er im Video. Foto: Clemens Hirmke

Clemens Hirmke ist nur knapp drei Tage im Land und trotzdem sind solche Reisen einprägsam. Besonders die Arbeitsbedingungen: Im diktatorischen Staat sind Straßensperren an der Tagesordnung. Das Militär ist omnipräsent und nur dank der guten Kontakte eines Fixers ist es möglich, Menschen für Interviews zu finden. Eine freie Berichterstattung ist in der Diktatur nicht möglich. Aserbaidschan liegt in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 168 von 180. Journalist*innen sind dort der Gefahr von Haftstrafen ausgesetzt.
Wer plant im Land zu berichten, sollte sich im Vorfeld offiziell anmelden. Journalist*innen die ohne Anmeldung nach Bergkarabach reisen, werden gezwungen das Land zu verlassen. Die Kontrollen sind hart und ohne Pressevisum kommt man derzeit nicht mal aus der Hauptstadt heraus.

Redaktionelle Auswahl im Schnitt

Zurück in Deutschland ist der VJ erstmal für zehn Tage in Quarantäne, aber da das Team von Into VR & Video derzeit im Home-Office arbeitet, kann der reisende Reporter von dort aus die Videos fertig produzieren. Neben der Videoaufnahme ist der Videoschnitt ein elementarer Bestandteil im Arbeitsalltag eines VJs. Hier entscheidet man sich als Journalist*in bewusst für die Auswahl der Interviewpassagen und kann im Sprechertext oder mit Texttafeln das Gesagte inhaltlich einordnen.

Videoschnitt mit Premiere Pro
Der VJ bestimmt im Schnitt, welche Art von Video er veröffentlichen wird. Foto: Into VR & Video

Alle Interviews müssen außerdem untertitelt werden. Bewusst verzichtete der Videoredakteur bei den emotionalen Videoportraits auf ein deutsches Over Voice. So wird die Stimmungslage der Protagonisten vor Ort besser übermittelt. Der Journalist Clemens Hirmke wählt bewusst die Protagonisten für sein Interview, die nicht von den Soldaten bereit gestellt wurden.

Die fertigen Videos gibt es hier zu sehen:

www.welt.de/politik/ausland/plus223956990

www.welt.de/politik/ausland/plus225057743

www.welt.de/politik/ausland/plus225292309

Das ist Into VR & Video

Wir produzieren innovatives Bewegtbild: Online-, Social-Media-Videos, 360°-Filme, VR Storytelling. Ausgezeichnet mit dem Photokina Motion Picture Award und dem Deutschen Reporterpreis. Auch als DozentInnen für Workshops und SpeakerInnen aktiv.